Faltenunterspritzen mit hyarulonsäurehaltige Präparate ist erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde

OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.02.2012 – 4 U 197/11

1. Die in § 1 Abs. 2 HPG definierte Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Ausübung der Heilkunde stets dann vorliegt, wenn die Tätigkeit ärztliche bzw. medizinische Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung – bei generalisierender und typisierender Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit gesundheitliche Schädigungen verursachen kann.(Rn.20)

2. Faltenunterspritzen unter Verwendung von hyaluronsäurehaltigen Präparaten stellt deshalb eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 1 und 2 HPG dar.(Rn.23)

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz, 8. Kammer für Handelssachen, – AZ: 8 O 22/11 KfH – vom 05.08.2011 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, untersagt, ohne behördliche Erlaubnis Faltenunterspritzungen unter Verwendung von hyaluronsäurehaltigen Präparaten durchzuführen oder solchartige Behandlungen anzubieten und zu bewerben.

2. Im Übrigen wird der Antrag der Verfügungsklägerin zurückgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Verstoß der Beklagten gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz/HPG).

2

Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) betreibt in der Schweiz in Grenznähe zu Deutschland ein „Kompetenzzentrum für ästhetische Medizin“ und führt dort unter anderem Faltenunterspritzungen mit Hyaluronsäure durch. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) betreibt in räumlicher Nähe zur Klägerin in Deutschland zwei Kosmetiksalons, in denen sie ebenfalls Faltenunterspritzungen unter Verwendung dieser Säure durchführt. Die Klägerin will der Beklagten untersagen lassen, ohne behördliche Erlaubnis Faltenunterspritzungen unter Verwendung von hyaluronsäurehaltigen oder botolinumtoxinhaltigen Präparaten durchzuführen oder solche Behandlungen anzubieten und zu bewerben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen.

3

Nachdem auf Antrag der Klägerin durch Beschluss vom 20.06.2011 eine entsprechende einstweilige Verfügung erging, hat das Landgericht nach Widerspruch durch die Beklagte sodann mit Urteil vom 05.08.2011 die einstweilige Verfügung vom 20.06.2011 aufgehoben und den Antrag auf Erlass zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Klägerin habe für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichend glaubhaft gemacht, in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zur Beklagten zu stehen. Ebenfalls nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, dass es sich bei der Tätigkeit der Beklagten um eine erlaubnispflichtige, medizinische Tätigkeit handle und somit ein Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz vorliege.

4

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin die begehrte Unterlassung weiter. Das Landgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass kein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bestehe. Insbesondere lägen die Geschäftssitze der Parteien in einer „einheitlichen Wirtschaftszone“. Weiter würden Faltenunterspritzungen – egal mit welchem Material – aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in den Körper mit erheblichem Gefährdungspotenzial eindeutig dem Heilpraktiker-Vorbehalt unterliegen.

5

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

6

Von einer weiteren Darstellung wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).

II.

7

Die zulässige Berufung hat Erfolg, soweit sie eine Unterlassung von Faltenunterspritzungen unter Verwendung von hyaluronsäurehaltigen Präparaten betrifft. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1.

8

Der Verfügungsantrag der Klägerin ist hinsichtlich der Verwendung von hyaluronsäurehaltigen Präparaten begründet.

9

Insoweit hat sie einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf die begehrte Unterlassung der Faltenunterspritzungen ohne behördliche Erlaubnis gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HPG glaubhaft gemacht.

a)

10

Die Klägerin ist als Mitbewerberin gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG antragsbefugt.

11

Auch ausländische Mitbewerber sind klagebefugt, wenn sie im In- oder Ausland zu einem inländischen Verletzer in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen. Die Klageberechtigung kann sich dabei aus einem internationalen Abkommen oder – wie hier – unmittelbar aus dem auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwendenden deutschen UWG ergeben (Jestaedt in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Auflage 2009, Kapitel 18 Rdnr. 18).

12

Die Klägerin hat durch die vorgelegte Versicherung an Eides Statt ihrer Präsidentin vom 23.07.2011 gem. §§ 936, 920 Abs. 2, 1. Alt., 294 Abs. 1 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht, dass in ihrer Praxis in Kr. eine größere Anzahl von Patientinnen aus Deutschland (mehrheitlich aus Konstanz, Singen und dem Bodenseeraum) behandelt wurden.

13

Dass in der Versicherung der Präsidentin der Klägerin an Eides Statt die Patientinnen aus Gründen der ärztlichen Verschwiegenheitsverpflichtung nicht mit vollem Namen genannt sind, schadet nicht. Die diesbezüglich von der Beklagtenseite zitierte Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.01.1995 – 6 U 227/94 -) betrifft einen anderen Fall. Dort ging es um die Klagebefugnis und Prozessführungsbefugnis eines Verbandes zur Förderung gewerblicher Interessen in Wettbewerbssachen und deren Nachweis durch Vorlage einer anonymisierten Mitgliederliste.

14

Die Parteien stehen somit als Anbieter von Dienstleistungen aus dem selben Geschäftsfeld auf einem gemeinsamen Markt in Deutschland in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, welches grundsätzlich im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes weit auszulegen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.08.2010 – 4 U 93/10 -; vgl. auch Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl. 2012, § 2 Rdnr. 95 m.w.N.).

b)

15

Der Klägerin steht ein Verfügungsgrund im Sinne des § 935 ZPO zur Seite. Dabei kann sie sich auf die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG berufen.

16

Dass die Frist zur Begründung der Berufung auf Antrag der Klägerin wegen einer großen Anzahl von bereits länger terminierten anderen Fristsachen um einen Monat verlängert wurde und die Klägerin diese verlängerte Frist nahezu vollständig ausgeschöpft hat, stellt zwar einen Umstand dar, der darauf hindeuten kann, dass es der Klägerin mit der Verfolgung des behaupteten Wettbewerbsverstoßes nicht (mehr) dringlich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.07.2002 -20 U 74/02, I -20 U 74/02 -). Dieser Umstand widerlegt vorliegend alleine ohne Hinzutreten weiterer entsprechender Umstände jedoch die Dringlichkeitsvermutung wegen beachtlicher Verfahrensverzögerung noch nicht (siehe zum Meinungsstand hinsichtlich des Entfallens der Dringlichkeit wegen Verfahrensverzögerung auch Köhler/Bornkamm, UWG, a.a.O., § 12 Rdnr. 3.16 m.w.N.).

c)

17

Das beanstandete Faltenunterspritzen unter Verwendung von hyaluronsäurehaltigen Präparaten stellt eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 1 und 2 HPG dar.

18

Das HPG enthält Marktverhaltensregeln im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, a.a.O., § 4 Rdnr. 11.78 m.w.N.).

19

Mit § 1 Abs. 1 HPG wird das Ziel verfolgt, den einzelnen und die Allgemeinheit vor unberufenen Heilbehandlern zu schützen (siehe auch Schelling in Spickhoff, Medizinrecht 2011, S. 822 m.w.N.). Das zum Schutz der Volksgesundheit als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut angeordnete präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist als erforderliche subjektive Zulassungsschranke mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar (BVerfG, Beschluss v. 10.05.1988 – 1 BvR 482/84, 1 BvR 1166/85 -; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl. 2008 S. 748; Schelling in Spickhoff, a.a.O., S. 823).

20

Die in § 1 Abs. 2 HPG definierte Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Ausübung der Heilkunde stets dann vorliegt, wenn die Tätigkeit ärztliche bzw. medizinische Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung – bei generalisierender und typisierender Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit – gesundheitliche Schädigungen verursachen kann. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit reicht aber ein nur geringfügiges Gefahrenmoment nicht aus, um die Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 HPG auszulösen. Das Gefährdungspotential wird zudem geringer, je weiter sich das Erscheinungsbild des Behandlers von einer medizinisch/ärztlichen Behandlung entfernt (OVG NRW, Beschluss v. 28.04.2006 – 13 A 2495/03 -; Schelling in Spickhoff, a.a.O., S. 825 m.w.N.).

21

Die kosmetische Zielsetzung eines Eingriffs in den Körper schließt die Bewertung, der Eingriff sei der Ausübung der Heilkunde zumindest gleichzustellen, nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 25.06.2007 – 3 B 82/06 – m.w.N.).

22

Die vorliegend in Frage stehende Tätigkeit des Faltenunterspritzens mit einer – nach Angaben der Beklagten – Spritze, die in ein Gerät eingepasst wird, so dass dann eine Spitze von ca. 1 cm aus diesem Gerät herausschaut, sowie einer anderen Spritze, vor allem für die Augenpartie, bei der nur eine Metallspitze von ca. 3 mm aus dem Gerät herausschaut, birgt nach Ansicht des Senats bei generalisierender und typisierender Betrachtungsweise eine Gefahr gesundheitlicher Schädigungen in einem nicht nur unbeträchtlichen vernachlässigbaren Ausmaß.

23

Das Injizieren des Füllmaterials in die Haut erfordert neben dem gebotenen notwendigen allgemeinen Wissen bei der Verabreichung von Injektionen auch zusätzliche Kenntnisse über den Aufbau und die Schichten der Haut sowie über den Verlauf von Blutgefäßen, Nervenbahnen und Muskelsträngen (vgl. auch OVG NRW, a.a.O.; VG Trier, Urteil vom 23.01.2003 – 6 K 867/02.TR -). Es kommt hinzu, dass sich selbst für einen Laien bei schlichter Betrachtung des Vorgangs der Faltenunterspritzung die Notwendigkeit dermatologischer Kenntnisse aufdrängt. Da es sich um das Einbringen dauerhafter Implantate in die Gesichtshaut handelt, muss sowohl die zu füllende Hautschicht fachkundig ermittelt und getroffen als auch die Unbedenklichkeit des zu verwendenden Implantats beurteilt werden (so auch BVerwG, Beschluss vom 25.06.2007 – 3 B 82/06 -).

24

Die bestehenden Zweifel am Vorliegen einer nicht dem Erlaubnisvorbehalt von § 1 Abs. 1 HPG unterliegenden Tätigkeit der Beklagten außerhalb dem Bereich der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 HPG können aufgrund der gebotenen abstrakt-objektiven Auslegung des Begriffs der Heilkunde auch nicht durch die individuellen, auf ihre Person bezogenen Angaben der Beklagten zu privaten Schulungen zur Faltenunterspritzung und der problemlosen Durchführung der Unterspritzungen seit dem Jahr 2003 zu Fall gebracht werden.

d)

25

Für eine Unzulässigkeit der Geltendmachung des Anspruchs gem. § 8 Abs. 4 UWG sind keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich.

3.

26

Dagegen ist der begehrte Verfügungsantrag hinsichtlich der Unterlassung von Faltenunterspritzungen unter Verwendung von botolinumtoxinhaltigen Präparaten nicht begründet.

27

Die Beklagte hat bestritten, jemals für ein Nervengift, das den faltenbildenden Muskel lähmt, geworben oder Botolinum-Toxin je angewendet zu haben. Die Klägerin hat daraufhin die in ihren Abmahnschreiben diesbezüglich enthaltenen Behauptungen nicht näher dargelegt und glaubhaft gemacht. Aus der von der Klägerin vorgelegten Werbung der Beklagten in deren Internet-Auftritt zum Thema „kosmetische Faltenunterspritzung“ geht weiter nur eine kosmetische Faltenunterspritzung mit Hilfe von Hyaluronsäure hervor.

4.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es im Falle der einstweiligen Verfügung nicht. Da das Urteil mit Verkündung rechtskräftig wird, kommt auch der von der Beklagten beantragte Vollstreckungsschutz vorliegend nicht in Betracht.

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